Wenn ich erzähle, dass ich gerne in den heimischen Seen in Österreich abtauche, ernte ich oft verständnislose Blicke. Viele können sich nicht vorstelle, dass es in unseren Binnengewässern viel zu sehen gibt und man hier wunderbare Tauchgänge machen kann.

Das Tauchrevier Deutschland

Einer, der die Liebe zu den Gewässern in Deutschland zelebriert, ist Mario Merkel vom Tauchrevier Deutschland. Mit viel Liebe zum Detail, einem guten Auge für die kleinen und großen Bewohner seines Tauchreviers und mit viel Leidenschaft berichtet er täglich von seinen Tauchgängen. Er hat sich taucherisch vom Sporttaucher (Dive Master) zum technischen Taucher entwickelt und entdeckte die Faszination des Höhlentauchens. Nebenbei hat er sich ein enormes Wissen zur Flora und Fauna in und an den Seen angeeignet.

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2010 ging er zum ersten Mal in einem heimischen Gewässer auf Tauchstation.  Bis heute hat er über 130 einheimische Seen, Flüsse, Steinbrüche, Weiher und Kiesgruben des Tauchreviers Deutschland betaucht.

Seine Berichte veröffentlich er auf seiner Internetseite, ergänzt durch eine  Facebook Seite. Neben dem Spaß am Tauchen steht für Mario der Naturschutz ganz oben. Ich bin eine fleißige Leserin und finde es wirklich gut, was er macht. Denn es ist sicherlich schön, sich für den Schutz des Roten Meeres einzusetzten. Aber die Gewässer vor unsere Haustür sind genauso schützenswert und müssen erhalten werden. Ich habe Mario einige Fragen per Email geschickt, sämtliches Fotomaterial ist von ihm zur Verfügung gestellt worden.

Wer bist Du? Stell Dich mal vor (Stichwort Beruf, Ausbildung, weitere Hobbies)

Wer bin ich? Meinen Namen hast Du ja bereits verraten. Ich bin Ehemann, stolzer Vater von drei erwachsenden Kindern und seit 2 Jahren Großvater. Studiert habe ich Elektrotechnik mit dem Fokus auf Hochspannungstechnik. Beruflich bin ich dann doch bei den eher kleineren Spannungen gelandet. In verschiedenen Unternehmen habe ich die Informationstechnik entwickelt und den IT-Betrieb verantwortet. Entspannung und Erholung finde ich in der Natur und natürlich im und am Wasser. Das Wasser zieht mich magisch an. Auf meinen Streifzügen durch Wald, Feld und Wiesen gibt es so viel zu entdecken. Besonders die kleinen Dinge im eher Verborgenen haben es mir angetan. Mit guten Freunden werden auch mal gern die Karten befragt und ein ordentlicher Skat gespielt.

Machst Du noch irgendwas anderes außer in den Seen zu tauchen?

Deutschland hat gut 20.000 Seen (>1ha). Auch wenn ich es nicht schaffen werde, in allen Seen zu tauchen, so darf man das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Da bleibt nicht viel Zeit für andere Dinge (lach).

 

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Wie viele Tauchgänge machst Du pro Woche?

Im Durchschnitt sind es 2-3 Tauchgänge in der Woche. Du siehst, es sind gar nicht so viele. Allerdings hat sich die Dauer eines Tauchganges auf gut 100+ Minuten erhöht.

Wo zieht es Dich immer wieder hin?

Ich genieße das Privileg, im wasserreichsten Bundesland Deutschlands, Brandenburg mit ca. 3000 Gewässern,  zu leben. Entfernungsbedingt bin ich daher häufig in Gewässern in unmittelbarer Nachbarschaft unterwegs. Stellvertretend seien hier der Werbellinsee, Helenesee, Straussee und Kalksee genannt. Da die Natur auch unter Wasser ihre Zyklen hat, besuche ich z.B. gezielt Zander bei der Brutwache, Stichlinge beim Nestbau, Garnelen beim Mondscheintanz und Quappen in ihren Quartieren.

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Was kann man bei einem Tauchgang in einem See so sehen?

(Schmunzel). Viel, sehr viel. Allerdings sage ich gern, das Sehen will gelernt sein. In Deutschland werden an die 100 Fischarten gezählt. Während den Hecht wohl jeder bei einem Tauchgang im einheimischen See beobachten konnte, stelle ich mir die Frage, wer den außergewöhnlichen Steinbeißer bereits entdeckt hat.  Wenn Kolonien von Süßwasserpolypen mit ihren langen Tentakeln die Wasserflöhe aus dem Wasser fischen, Wasserasseln tagelang zur Paarungszeit aufeinander hocken, Flohkrebse auf der Jagd sind oder Schwebgarnelen im Licht der Lampe tanzen, dann zaubert es mir einfach ein Lächeln ins Gesicht. Und wer schon einmal über eine „blühende“ Armleuchteralgenwiese (z.B. chara tomentosa) getaucht ist, dem wird die Schönheit unserer Seen unvergessen bleiben. Wrackreiche Seen wie der Bodensee oder der Werbellinsee warten mit erstaunlichen Zeitzeugen auf. Diese zu besuchen, ist immer ein Erlebnis. Diese Aneinanderreihung von schönen Erlebnissen wird jedoch auch von viel Tristes unterbrochen. Eutrophe Seen, fehlende Makrophyten, Mondlandschaften und unendlich viel Müll erinnern traurig an die Verletzlichkeit dieser einmaligen Lebensräume. Das Ausdekorieren von Unterwasserlandschaften mit ausgedienten Computern, Plüschtieren und Kaffegeschirr wird zu einer Unart, der ich leider nicht viel abgewinnen kann.

 

SeaLife DC1400

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Was war Deine außergewöhnlichste Begegnung unter Wasser in einem heimischen Gewässer?

(Grübel). Die Heimsuchung dreier Zandernester von einer Armada Plötzen, Flussbarschen und Aalen war schon eine beeindruckende Begegnung. Die Zandermännchen hatten alle Flossen voll zu tun, um die Fressfeinde auf Distanz zu halten. Ein Erlebnis war auch die Begegnung mit jagenden Haubentauchern unter Wasser, ebenso die Entdeckung eines riesigen Welses in seinem Winterschlafplatz.

Bist du auch in Flüssen abgetaucht? Wenn ja wo?

Habe mich von der Spree in Brandenburg treiben lassen. Die Sicht war allerdings schlecht. Vieles konnte nur erahnt werden. So blieb die erhoffte Begegnung mit den großen Wallern aus.

Ich suche schon lange einen Stausee mit einem versunkenen Dorf darin. Gibt es so ein Gewässer in Europa?

Eine gute Frage. Das Dorf Berich in Hessen wurde dem Edersee geopfert. Man darf jedoch nicht allzu viel erwarten. Das Dorf wurde zuvor abgetragen, das Baumaterial wiederverwendet. Allein Fundamentreste sind zu erkennen. In einigen ehemaligen Steinbrüchen können zum Teil gut erhaltene Pumpenhäuschen und Gebäude betaucht werden. Das Kunstdorf „Nordhusia“ in Thüringen, einem Unterwasserprojekt der Jugendkunstschule Nordhausen, kennt hingegen wohl jeder.

Welche Seen hast Du außerhalb Deutschlands betaucht?

Einen Unterwasserabstecher in die benachbarten Länder Polen und Österreich habe ich bereits unternommen. Den Seen in Österreich würde ich gern mehr aufmerksam schenken. Eine Tour ist fest vorgenommen. Ansonsten bereise ich sehr gern gemeinsam mit meiner ebenso tauchenden Frau die Welt und lass mich von den Schönheiten der Weltmeere und Ozeane in den Bann ziehen.

Wie unterscheiden sich die Seen in den verschiedenen Regionen Deutschlands?

Allein die geografische Lage der Seen, mit ihren unterschiedlichen klimatischen, geologischen und naturräumlichen Einflüssen, lässt drei Ökoregionen (Alpen- und Alpenvorland, Zentrales Mittelgebirge, Norddeutsches Tiefland) unterscheiden. Eine überregionale Länderarbeitsgemeinschaft (LAWA) kategoriert 14 Seetypen. Für die Entwicklung des Sees macht es schon einen Unterschied, ob er in einem Waldgebiet eingebettet ist, durch menschliche Erholungsnutzung beansprucht wird oder dem Nährstoffeintrag benachbarter Landwirtschaft ausgesetzt ist. Das Trophysystem definiert 4 Typen auf Basis des Nährstoffgehaltes. Die Limnologie ist eine spannende Wissenschaft. Das Ergebnis dieser unterschiedlichen Einflüsse können aufmerksame Taucher durchaus erkennen. Schlechte Sichtweiten werden von jedem sofort wahrgenommen. Das Erkennen bestimmter Zeigerpflanzen für den Gewässerzustand setzt eine gewissen Kenntnis und entsprechendes Interesse voraus. Neben den Naturseen gibt es zahlreiche Kunstgewässer als Hinterlassenschaften regionaler Rohstoffgewinnung. Sachsen ist reich an Steinbrüchen, Baden-Württemberg bekannt durch zahllose Kiesseen, die Lausitz als ehemaliges Braunkohleabbaugebiet entwickelt sich zu einer riesigen Seenlandschaft. Nicht zu vergessen sind die unvergleichliche Ost- und Nordsee. Du siehst, das Tauchrevier Deutschland ist vielfältig und spannend zugleich.

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Wie viele Taucher schätzt Du tauchen regelmäßig in Deutschlands Seen ab?

Die Statista weist in ihrer Statistik für 2015 etwa 670.000 Taucher in Deutschland auf, die häufig tauchen gehen. Wieviel davon in Deutschland bleibt allerdings unbeantwortet. Der Verband Deutscher Sporttaucher (VDST) zählt 2014 ca. 80.000 Mitglieder. Dabei repräsentiert der VDST nur einen Teil Tauchbegeisterter in Deutschland. Verlässliche Zahlen würden mich auch interessieren. Ich kann Dir keine Zahl nennen, die würde ebenso falsch wie wahr sein. Freunde aus dem Business „Tauchen“ berichten mir von rückläufigen Zahlen. Persönlich habe ich jedoch den Eindruck, dass die Anzahl der Taucher in unseren Seen steigt.

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Was sollten Taucher in den heimischen Seen beachten?

Unsere Gewässer unterscheiden sich grundsätzlich von den warmen, lichtdurchfluteten, tropischen Gewässern. Wer bei uns in Deutschland tauchen gehen möchte, sollte über eine kaltwassertaugliche Ausrüstung verfügen. Die Anomalie des Wassers und jahresbedingte Wasserzirkulationen schichten das Wasser. Während sich im Sommer das Flachwasser auf über 20 Grad erwärmt, ist es unterhalb der Sprungschicht ordentlich frisch. Gewässertypische Trübungen filtern das Licht, es wird in unseren Seen relativ schnell dunkel. Referenzlose Navigation mit Kompass (kein Hexenwerk) sollte beherrscht werden. Die richtige Ausrüstung und eine angemessene Ausbildung/Training schaffen die Voraussetzungen für tolle Erlebnistauchgänge in unseren Gewässern.

Was steht auf Deiner taucherischen to-dive Liste?

Als Realist muss ich festhalten, dass ich nicht alle einheimischen Seen betauchen kann. Leider stoßen wir in einigen Bundesländern auch auf ein taucherunfreundliches Wassergesetz, welches das Tauchen mit Gerät nicht als Gemeingebrauch versteht und somit erst einmal verbietet. Eine Harmonisierung im Interesse von uns Tauchern wäre wünschenswert. Jedoch habe ich mir vorgenommen, in jedem Bundesland den Kopf unter Wasser zu stecken. Daher werde ich in absehbarer Zeit in Rheinland-Pfalz, dem Saarland und in Schleswig-Holstein auf Tour gehen. Eine kleine Tauchreise durch Österreich erwähnte ich bereits. Norwegen interessiert mich schon lange. Ebenso träume ich davon, in Grönland unter Eis zu tauchen. Raja Ampat winkt mir schon lange zu (lach).

Warum sollte eigentlich jeder Taucher mal in seinem Leben auch in einem See abtauchen?

Sollte er nicht. Ziel meiner Beiträge und Bilder auf meinem Blog ist es nicht, jeden Taucher oder Nichttaucher davon zu überzeugen, in unseren Gewässern zu tauchen. Vielmehr geht es mir darum, darauf aufmerksam zu machen, dass unsere Seen eben nicht nur dunkles und kaltes Wasser sind, sondern Lebensräume von vielen kleinen und großen Lebewesen, die einen unschätzbaren Beitrag für eine gesunde Umwelt, in der auch wir leben, leisten. Erst wenn wir diesen Schatz erkennen, werden wir ihn schützen.

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About the Author: Bettina Winert

Mutter von 3 Kindern, im Exil in Wien lebend. Autorin, Taucherin und begeisterte Gärtnerin.

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